Analog stirbt zuletzt

An Deutschland schätzen andere Länder die Gründlichkeit, Pünktlichkeit und sonstige Tugenden. Doch leider ist das nur die halbe Wahrheit, denn bei so manchem Vorhaben tut sich Good Old Germany schwer und hinkt vielen seiner Nachbarn deutlich hinterher. Das betrifft vor allem das leidige Thema digitaler BOS-Funk. Doch auch der Consumer bleibt auf der „digitalen Strecke“.

Längst wird in unserer bunten Republik digital TV geschaut – per Kabel und Satellit schon länger, terrestrisch mit DVB-T bzw. DVB-T2 ebenso. Doch Tonrundfunk ist am Technologiestandort Deutschland immer noch analog. Warum eigentlich?

Norwegen schaltet bereits jetzt den analogen UKW-Rundfunk ab, Dänemark liebt den Digitalhörfunk, Spitzenreiter aber sind die Briten, die schon zu etwas mehr als 50% in der Bevölkerung auf Digitalradio umgestellt haben. Um nicht ganz so kritisch zu sein muss man aber auch erwähnen, dass sich Spanien, Polen oder Griechenland ebenso schwer mit der Umstellung auf DAB+ tun.

Doch warum ist das so? Wo liegt der Hase im Argen? Holen wir doch dazu ein wenig aus, reisen vor dem inneren Auge zurück zu den guten alten „Dampfradios“ in ihren wundervollen Holzgehäusen, mit der breiten und gut lesbar beschrifteten Skala, hinter der sich der Zeiger hin und her bewegen ließ. Die Faszination lag selbst bei UKW doch schon damals daran, welchen Sender man auf diesem oder jenem Punkt der Skala empfangen konnte. Hörfunk war zudem sehr beliebt, es war eines der wichtigsten Nachrichtenmedien, dicht gefolgt vom Unterhaltungswert durch (neue) Musik und Hörtheater. Das Fernsehen war ja noch in den schwarzweißen Kinderschuhen gefangen und gesendet wurde auch eh nur nachmittags und abends, bevor wieder das Testbild kam.

In den vergangenen 40 Jahren allerdings verkam der Hörfunk, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, immer mehr zum Hintergrundmedium, das still und leise vor sich hin dudelt, ohne dass ihm jemand noch gesteigerte Aufmerksamkeit schenkt. Bei vielen Stationen wiederholen sich die musikalischen Playlists nahezu täglich, alles ist so oder so mainstream-konform. Hier und da etwas alberne Comedy ohne Tiefgang, fertig ist das deutschlandweit durchschnittliche Dudelradio. Auch die oft gepriesenen Einschaltquoten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass kaum noch jemand ernsthaft Radio hört! Die Zahl dieser Zeitgenossen ist nahezu bedeutungslos geworden, trotz vieler sehr guter Programminhalte abseits vom Schlager- und Putzfrauenradio. Größter Schwachpunkt, obwohl für den wirklich geneigten Hörer durchaus von Vorteil: Einzelne Programme und Sendungen lassen sich später per Internet als Podcast zum Download oder Stream nachhören. Warum also noch den täglichen Zeitplan nach dem Radioprogramm ausrichten?

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Industrie, die Hersteller von digitalen Radiogeräten. Die großen der Branche haben es bislang versäumt durch entsprechendes Marketing den Konsumenten wie auch den Hörer von der neuen Hörfunktechnik zu überzeugen. Ganz heimlich still und leise tauchten in den Elektronikgeschäften mal die ersten Digitalradios auf und standen da mit ihren Preisschildern, auf denen horrende Beträge verzeichnet waren. Zu Recht fragte sich der Kunde, warum er für eine neue Technik so viel Geld ausgeben solle, wenn das Empfangsgerät noch nicht mal halb so groß ist wie das heimische Küchenradio mit seinem warmen Klangbild.

Auch die Freunde der klassischen HiFi-Systeme mit ihren Einzelkomponenten wurden von den Herstellern völlig vergessen. Wo blieben denn die Kenwood-, Sony- oder Onkyo-Digitalradios, die sich einfach in die bestehende HiFi-Anlage integrieren ließen? Sangean, unter Kurzwellenhörern ein klangvoller Name, wagte den einen oder anderen durchaus gelungenen Versuch, solche HiFi-Module auf den Markt zu bringen. Doch auch sie wurden vom Konsumenten kaum beachtet, weil die passende Marketingstrategie ausblieb. Fast schon schwärmerisch blickt man dann auf die einstigen DSR-Empfänger im passenden 19-Zoll-Format zurück – ein erstes digitales Rundfunksystem, das vom Satelliten kommend in die diversen Kabelnetze eingespeist wurde und über ein sauberes Klangbild den einen oder anderen guten Rundfunksender in die Wohnstuben brachte. DSR ist längst Geschichte – logisch, es hat ja auch funktioniert.

Dann sollte DAB kommen. Man hörte und las das eine oder andere, aber mehr auch nicht. Zarte Versuche mit, wie schon gesagt, teuren Miniempfängern, die den Radiolauschern rein optisch wohl auch gar nicht gefielen, verstaubten beim Elektronikdiscounter in den Regalen. Lediglich nur gute 13% der Deutschen interessierten sich für den digitalen Hörfunk, eine erschreckend niedrige Zahl in einem Land, in dem selbst das neueste Smartphone nicht fortschrittlich genug zu sein scheint. Hier und da traute sich dann ein Radiosender, mal das eine oder andere Digitalradio als Gewinn unters Volk zu bringen. Der erwartete Domino-Effekt blieb bis heute aus.

Stattdessen entbrannte über die Jahre ein Streit um Frequenzen. Die UKW-Frequenzen wurden schon verplant obwohl noch gar nicht abzusehen war, wann der analoge Tonrundfunk abgeschaltet werden sollte. Ein schüchtern genanntes Datum so um das Jahr 2010 herum verstrich ereignislos. Die Frequenzhoheit in Deutschland schaffte es nicht, sich gegen Mobilfunkanbieter durchzusetzen und entsprechende Frequenzpakete vorzeitig für den Digitalrundfunk zu behaupten. Erst als die EU entsprechende Rahmenpläne auf den Weg brachte hätte es wirklich losgehen können.

Leider blieb die Information für das hörende Volk seitens der Frequenzhoheit aus – keiner wurde richtig darüber informiert, was der digitale Rundfunk so alles kann, bietet und möglich macht. Folglich blieb DAB, später dann DAB+, nur eine Anreihung von Buchstaben in den diversen Medien, mit der niemand was anfangen konnte. Die wenigen, die sich doch dafür interessierten wurden mit hässlichen und viel zu teuren Empfangsgeräten gleich wieder verschreckt.

Eines darf man aber ebenso, bei aller Begeisterung für die digitale Hörfunktechnik und ihre Möglichkeiten, nicht vergessen: Die komplexen Datenströme, die erzeugt werden müssen, um das Signal vom Studio zum Kunden zu bringen, bedürfen der kritischen Infrastrukturen, deren Ausfall ein Land wie das unsere schnell ins Chaos stürzen kann. Wie zügig könnte im Katastrophenfall ein adäquater Ersatz auf Sendung gehen, mit dem die Bevölkerung lückenlos informiert werden kann? Eine schwer zu beantwortende Frage, vor allem, wenn die BOS bis heute noch immer nicht lückenlos digital funken können! Da nutzen die schicksten, edelsten und raffiniertesten Empfangsgeräte nichts, wenn niemand in der Lage ist, ein digitales Signal zu erzeugen, mit dem im Katastrophenfall informiert werden kann. Ein analoges UKW-Signal ist wesentlich schneller moduliert und auf Sendung. Doch was würde das noch nutzen, wenn niemand mehr ein dafür taugliches Empfangsgerät besitzt?

Es wird wohl noch bis weit in die 20er Jahre dauern, bevor der Rundfunk in Deutschland vollständig digitalisiert ist – solange Hersteller an ihrer überzogenen Preispolitik festhalten und das bisherige Hinterwäldler-Marketing nicht ablegen, die Rundfunksender die neue Programmvielfalt dem Hörer nicht schmackhaft machen können und die Frequenzhoheit nicht schleunigst die Rahmenbedingungen für den umfassenden Wechsel schafft.

Da wünscht man sich doch eigentlich wieder das alte Dampfradio zurück, mit der wunderschön leuchtenden Skala…